Grundlagen

Herkunft

Eigentlich sind Faszien ein ganz alter Hut. Bereits 1899 wies der Osteopath Andrew Still unter anderem auf die Bedeutung der Faszien für unser Gehirn hin. Er vertrat die Meinung, Faszien seien mit dem gleichen Respekt zu behandeln, wie das Gehirn selbst! Im vergangenen Jahrhundert sind Grundlagenarbeiten von Teirich- Leube, Rolf, Travell, Pischinger und vielen anderen hinzugekommen. Die Wirksamkeit myofaszialer Interventionen war ihnen allen bereits bekannt.

Moderne Faszienforschung

In den vergangenen 10 Jahren wurde die Physiotherapie durch die neuesten Erkenntnisse der internationalen Faszienforschung revolutioniert. Die Arbeiten von Prof. Carla Stecco (I), Dr. Robert Schleip (D), Prof. Helene Langvin (USA) und vielen anderen zeigen die Unverzichtbarkeit des neuen Faszienwissens auf.

Die Autorin mit Dr. Robert Schleip, Chemnitz, Februar 2018

 

Faszien sind in der Lage, sich weitestgehend zu regenerieren und eine verbesserte Gewebearchitektur auszubilden. Sie sind das große Sinnesorgan unseres Körpers und können maßgeblich die Plastizität und Funktion unseres Gehirns beeinflussen.

Die Faszien-Physiotherapie macht sich dieses Grundlagenwissen zu Nutzen. Gezielte, adäquate Manuelle Therapie mit all ihren Möglichkeiten hilft sinnvoll heilen.

„Wenn wir wüssten, was unter unseren Händen in unserem Körpergewebe passiert, wir würden noch viel sanfter arbeiten!“

(Jean-Claude Guimberteau, Faszienforscher und Vorreiter auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren)

 

Historischer Überblick

  • 1899     Still entwickelt die Osteopathie, UK
  • 1920     BGM nach Teirich-Leube, Deutschland
  • 1930     Rolfing nach Ida Rolf, Biochemikerin, USA
  • 1960     Triggerpunkt-Forschung Travell and Simons, USA
  • 1974     Myofasziale Behandlungen nach Gabriele Kiesling
  • 1990     FDM nach Steven Typaldos, USA
  • 2004    Erste Forschungsarbeiten Dr. Robert Schleip, D
  • 2007    Harvard University 1. Internationaler Faszien Kongress
  • 2013     Prof. Helen Langvin beschreibt Wechselwirkungen von Faszien zu Triggerpunkten und Akupunkturpunkten, USA
  • 2017     Erster Faszien-Atlas Prof. Carla Stecco, Italien
  • 2017     Dritter internationaler Faszienkongress, Ulm, D

 

Neuroorthopädische Grundlagen

Für physiotherapeutische Diagnostik und Therapie bietet die Neuroorthopädie die entscheidenden Grundlagen. Dieses spezielle Fachgebiet befasst sich insbesondere mit reversiblen Funktionsstörungen der Bewegungssteuerung, der Gelenke, der Muskulatur und des faszialen Gewebes.

Neuroorthopädie wurde durch die „Prager Schule“ um Lewit, Vojta und Bobath begründet. Zu weiteren wichtigen Grundlagenarbeiten zählen außerdem jene von Küggelen, Schirmer, Brügger, Cyriax und Tilscher. Modernes Neuroorthopädie-Fachwissen geht heute auf R. Holst, Peter F. Matzen und M. Deschauer zurück.

Neuroorthopädie für Physiotherapie nach Kiesling zeichnet sich durch reproduzierbare Behandlungserfolge aus. Unerlässlich hierfür ist das Fachwissen und Handeln des Therapeuten in Verbindung mit der aktiven Mitarbeit des Patienten auf Basis einer individuellen Selbstbehandlung.

 

Physiotherapeutische Grundlagen

Die Faszien-Physiotherapie nach Kiesling fand 1974 ihren Ursprung. Auf der Basis des seinerzeit bekannten Fachwissens zur Lösung im Gewebe begründete Gabriele Kiesling in ihrer Physiotherapie Praxis in Düsseldorf ihre myofasziale Behandlung. Diese umfasste die manuelle Lösung der Muskulatur aus der Umgebungsfaszie, unter Berücksichtigung der Triggerpunkte und der Bindegewebsmassage-Technik. Später kamen Im Rahmen der Manuellen Therapie und der Parietalen Osteopathie neue Überlegungen hinzu. Mithilfe des Kinesiotapings, der traditionelle chinesische Medizin (TCM), und der medizinische Trainingstherapie (MTT) entstand im Laufe der vergangenen 40 Jahre eine überaus wirksame Methode.

 

Tertiärprävention

Die Faszien-Physiotherapie ist der dritten Präventionsstufe, der sogenannten Tertiärprävention, zuzuordnen. Die Tertiärprävention hat das Ziel, Folgeschäden einer bereits eingetretenen Erkrankung zu verzögern, zu begrenzen oder ganz zu verhindern. Es handelt sich hierbei um ein Vorbeugen durch Wissen und entsprechende myofasziale Selbstbehandlungen.

 

Sinn und Unsinn in der „Faszien-Szene“

Einige für den Patienten äußerst schmerzhafte Behandlungsformen (Faszien-Distorsions-Modell (FDM), Übungen auf großen Rollen, etc.) sollten heute überdacht werden. Sie sind eher in der Sportphysiotherapie tauglich, als im Behandlungsalltag einer qualifizierten Physiotherapie-Praxis.

Der Faszienhype in der Fitness- und Wellness Branche ist mit großer Vorsicht zu betrachten, wenn er eher wirtschaftlichen, als wissenschaftlichen Methoden folgt. Den im Low-Budget-Bereich arbeitenden Übungsleitern fehlen die notwendigen neuroorthopädischen Kenntnisse. Das hat schon manch einer durch schmerzhafte Blessuren zu spüren bekommen.